Malworkshop II

mit Schülern der Johannes-Rabeler-Schule Lüneburg

Leben in Bildern

Tagebucheintrag vom 21. März 2017

Workshop, Klappe die zweite! Heute in der Johannes-Rabeler-Schule Lüneburg. Um 10.00 Uhr erwartet Künstler Uwe Appold bereits die 12 Schülerinnen und Schüler des künstlerisch-musikalischen Wahlpflichtkurses von Herrn Spöhrer. Bevor es an die bereitgestellten Leinwände geht, stellt sich zunächst die Frage: Was kann ich malen? Gesprächsstoff gibt es genug. „Was hat euch berührt, hat was mit euch zu tun? Womit möchtet ihr euch in euren Bildern auseinandersetzen?“, fragt Appold, als die Schüler von ihrer Beschäftigung mit der Passionsthematik und Pendereckis Werk berichten. Eine Werkeinführung durch Ulf Pankoke über die Musik der Lukaspassion hat die Schüler zusätzlich inspiriert. Sehr sogar: „Du hast die Lukaspassion dreimal durchgehört?“, fragt Appold überrascht und mit Anerkennung in der Stimme. „Klar“, bestätigt der angesprochene Schüler, „und ich finde, dass sie morgens viel heller klang als abends, gar nicht mal so gruselig, wie ich erst fand“.

Uwe Appold hört aufmerksam zu und gibt individuell Impulse, bis jeder eine Vorstellung davon hat, was er zum Workshop-Thema „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ auf seiner Leinwand darstellen möchte. „Oder ihr stellt das komplette Gegenteil dar“, schlägt Appold vor und erweitern damit den Themenkreis. „Wichtig ist, dass ihr Lust habt auf das, was ihr malt.“

Dann geht es los. Appold und Spöhrer helfen dabei gestalterische Ideen umzusetzen und weiterzuentwickeln. Im Unterricht haben die Schüler bereits den Farbkreis besprochen, überlegt, welche Farben mit welchen Emotionen für jeden persönlich in Verbindung stehen und in praktischen Übungen Ausdrucksmöglichkeiten erprobt. Gestalterische Tipps gibt Uwe Appold mitunter auf sehr anschauliche Weise. „Neuer Versuch“, sagt er und zieht ein Stück Kreide über das Bild eines Schülers. Der kennt die Methode schon und weiß, dass er die Spuren jederzeit mit einem feuchten Tuch wieder wegwischen kann. Aber zunächst sind sie da, lassen einen Eindruck entstehen, wie es weitergehen könnte. Ein paar Vorschläge wurden schon verworfen… Endlich hellt sich die Miene des Jungen auf. Ein Wort steht dort, und diesmal ist es passend und wird, vom Schüler bearbeitet, Teil des Werkes bleiben.

11.30 Uhr. Ein Schüler blickt seufzend auf das Bild seiner Nachbarin, das schon weiter vorangeschritten zu sein scheint als seines. „Mach in deinem Tempo“, beschwichtigt ihn Spöhrer, „es kommt gar nicht darauf an, schnell fertig zu werden.“ Malerei ist ein Prozess, der Zeit braucht, man entwickelt sich, wächst rein. „Dieser Linie würde ich jetzt etwas entgegensetzen“, rät Appold einem Schüler und erntet zunächst einen verständnislosen Blick. „Eine Figur, die in die Gegenrichtung führt. Das gibt deinem Thema noch stärker Ausdruck.“ – „Wirklich? So schräg drüber? Nee, ich weiß nicht. Sieht das nicht blöd aus…“ Der Maler und Bildhauer schmunzelt, sagt aber nichts mehr und überlässt ihn zunächst sich und der gestalterischen Suche.

Manchmal wandelt sich im Entstehungsprozess sogar die gesamte Tongebung eines Bildes. Zufrieden schaut einer der jungen Künstler auf die Grün- und Grautöne, die statt des Rots nun sein Werk dominieren. „Es war vorher einfach noch nicht fertig“, sind sich Appold und Spöhrer einig. Hinweise müssen natürlich nicht angenommen werden, das Lächeln des Schülers verrät aber, dass dies letztendlich eine gute Idee war. Ein anderes Bild nimmt im Verlauf des Workshops durch warme, strahlende Farbtöne an Helligkeit zu. Aber auch eine einzige Pinselberührung macht den Unterschied. „Ich will einen hellen Punkt setzen, aber wohin im Bild?“ wird zur Schlüsselfrage, die die Zeit nimmt, die sie braucht und deren Antwort schließlich das Werk vollendet.
Stilistisch lassen sich abstrakte wie figürliche Elemente in den Bildern finden (eines weckt sogar Assoziationen zu Munchs Der Schrei). Auch bei der technischen Umsetzung beweisen die Schülerinnen und Schüler Kreativität. Pinsel? – Bei einer Schülerin erzielt ein Wattebausch eher die gesuchte Wirkung.

Pause macht jeder individuell. „Das gibt neue Kraft und auch Inspiration, wenn sie kurz Abstand zu ihrem Werk nehmen, die Bilder der anderen betrachten und mit ihren Freunden darüber quatschen können“, erklärt Spöhrer. Insgesamt ist Bewegung im Raum, die Stimmung ist locker und immer wieder schauen auch Neugierige zur Tür herein. „Ihr seid ja alle voll die Künstler!“, staunt ein Mitschüler.

„Puuuh…“ Eine Schülerin atmet hörbar aus und lässt sich auf einen Stuhl fallen. „So langsam kieg‘ ich Hunger.“ Tatsächlich ist es schon 13.00 Uhr und im Raum wird spürbar, dass die Konzentration allmählich nachlässt. Umso begeisterter wird Herr Spöhrers Ankündigung „Pizza für alle!“ angenommen. Nach der gemeinsamen Mittagspause findet noch hier und da ein Pinselstrich seinen Weg auf eine Leinwand, dann stehen die vollendeten Werke. „Jetzt würde ich nichts mehr daran machen“, rät Uwe Appold dem Schüler, der sich zunächst nicht recht getraut hatte, Linien in Gegenbewegung zu setzen, und nun ganz im Spiel mit Farben und Formen aufgegangen ist.

Und wie sollen die neuen Werke heißen? „Mein Bild hat keinen Titel“, verkündet eine Schülerin. „Ok“, nickt Appold, „auch das ist eine Aussage.“ Dann kommt ihm eine Idee: „Was hältst du aber davon, deine Gedanken zu ihm drunter zu schreiben? Das muss nicht genau sein, aber in Stichworten. Dann kannst du etwas über dein Bild sagen, und dennoch kann man sich als Betrachter eigene Gedanken machen und selbst interpretieren.“ Eine gute Idee, finden auch die anderen Schüler. Lehrer und Bildhauer helfen dabei, die passenden Schlagwörter zu wählen. Am Schluss schaut sogar die Direktorin Frau Christmann neugierig vorbei. „Ich wollte doch mal schauen, wie’s gelaufen ist“, lächelt sie und staunt nicht schlecht über die entstandenen Werke.

Zeit für eine Abschlussrunde. Stolz schauen die Schüler auf ihre zwölf nebeneinander aufgestellten, sehr unterschiedlichen Bilder. Gemeinsam haben diese ihre Intensität, mit der sie jeweils ein Stück ihrer Schaffer wiederspiegeln. „Lasst uns jeder über das Werk eines anderen sprechen“, schlägt Appold vor und ist beeindruckt, wie reflektiert und wertschätzend die Schüler diese Aufgabe erfüllen. Anschließend Ortswechsel: Mit den Bildern geht es in die St. Johanniskirche. Dort stehen bereits, großformatiger, sieben Kreuze. „Krass, wer hat die denn gemalt?“ – „Na Uwe Appold.“ – „Wer?!“, erklingen erstaunte Dialoge von den Schülern, die in ihrem Workshopleiter erstmalig bewusst den Künstler sehen. In einem Rundgang lässt dieser seine begeisterten Zuhörer anschaulich an seinen Gedanken zu seinen Werken teilhaben.

Schon 15.00 Uhr, das offizielle Workshopende ist erreicht, wer kann, bleibt noch zum Aufräumen. Man bedankt sich gegenseitig für den tollen Workshop. „Solche Projekte sind außerdem eine super Chance für unsere Schüler, an Kunst und Kultur direkt teilzuhaben und diese nicht nur zu konsumieren, weil sie von außen präsentiert werden“, betont Christmann die Bedeutung dieses besonderen Tages. „Und ich treffe selten so eine engagierte Schule, vielen Dank!“, gratuliert Appold und schüttelt Spöhrer und Christmann die Hand. Er ahnt noch nicht, dass zusätzlich, quasi über Nacht, ein Ausstellungskatalog für die Dialogausstellung entstehen wird. „Bis morgen!“, rufen die Schüler von allen Seiten, denn dann sind endlich die in einheitlichem Format gestalteten Bilder beider Lüneburger Workshops zusammen mit den Werken Uwe Appolds zu sehen.

Die Frage, ob der Workshop gelungen ist, erübrigt sich, schaut man in Herrn Spöhrers freudiges Gesicht. „Ich muss jetzt mal den Kunstdidaktiker Gert Selle zitieren“, lächelt er verschmitzt, „der meint, dass ein guter Kunstunterricht die Schüler anregen und befähigen müsse, eine Erfahrung in die ihr angemessene Form zu transformieren. Ich finde, das ist hier total gelungen. Die Schülerinnen und Schüler haben Situationen und Emotionen aus der Passionsgeschichte und Pendereckis Musik als Impulse genommen und Mittel gefunden, Erfahrungen, Gefühle oder Situationen, die sie erlebt haben, damit zu verbinden und künstlerisch darzustellen.“ Und zwar eigenständig, das ist Spöhrer wichtig. „Die ‚Einschränkung‘ durch das Leinwandformat und das Material Acrylfarbe gibt Struktur und Halt, und Herrn Appolds und meine Vorschläge sollten keinem etwas vorschreiben, sondern Ideen geben, was man wie noch stärker ausdrücken könnte.“

Und wie geht’s weiter? Ein Treffen zwischen Frau Dombrowski vom Johanneum und Herrn Spöhrer verrät es: „Die Kulturbäckerei Lüneburg hat angefragt und hätte Interesse die Werke der Schüler erneut auszustellen“, freut sich Spöhrer. „Unsere Schüler werden nochmal alle berühmt“, schwärmt Dombrowski lachend. „Wir hätten Lust, noch weitere Projekte zu machen, als neue Schulpartnerschaft.“ Wenn das keine fruchtbare Zusammenarbeit war. Na dann bis zum nächsten Mal!

Maria Lendel, PASSIO Projektassistenz