Dialogausstellung

Vom 22.3. – 7.5. in St. Johannis Lüneburg

Ausstellungskatalog

“Denn sie wissen nicht was sie tun”

SIE WUSSTEN, WAS SIE TUN

Nicht nur die Amerikaner, sondern wir alle haben die Aufgabe,
die Demokratie und Grundrechte am Leben zu halten,
sowie Freiheit und Gleichheit zu stärken.
Manou Freckmann

Malworkshops mit Jugendlichen sind immer wieder überraschend, erst recht, wenn es sich um so ein schwieriges Themenfeld wie die Passionsthematik handelt. Wenn dann noch zeitgenössische Musik dazu kommt, in deren Struktur, Aufbau, Metrik und Harmonik es sich einzuarbeiten gilt, sind die Ergeb-nisse nicht vorherseh- und kalkulierbar. Ist doch das Passionsgeschehen schwer nachzuvollziehen; vom „Kreuzige ihn“ bis zur österlichen Auferstehung ist es ein weiter Weg zwischen Glauben und Zweifel. Wie würden die Jugendlichen auf den Halbsatz aus dem ersten vom Kreuz gesprochenen Wort reagieren: „…denn sie wissen nicht, was sie tun“? Würden sie in der Lage sein, darin eigene Positionen zu reflektieren, subjektives Gefühlserleben zu thematisieren? Würden sie über die malerische Versprachlichung zu Blickwinkeln auf Inhalte ihrer eigenen Biographie kommen? Wäre das Thema wirklich in der Lage, gesellschaftliche Zusammenhänge aufzuzeigen? Diese und andere Fragen standen im Vordergrund, als ich mich wiederholt nach Lüneburg aufmachte, um mit den Jugendlichen zu arbeiten.

Ich fand alle gut vorbereitet auf die Malprozesse vor. Ob die Werkeinführung in Pendereckis Oratorium durch Ulf Pankoke, die kollegialen Hinführungen des Kunstleistungskurses durch Katherine Dombrowski am Johanneum oder Stephan Spöhrer an der Johannes-Rabeler-Schule: Die Saat war ausgebracht, nun galt es, sie gemeinsam keimen und wurzeln zu lassen. Teamteaching war angesagt. Die Informationsphase konnte fließend in die Differenzierungsphase übergehen, besondere Interessenschwerpunkte der Jugendlichen wurden im Dialog heraus gearbeitet. Mich überraschten im Kunstleistungskurs die professionell angelegten Arbeitsbücher und die Vorentwürfe für die geplanten Bilder ebenso wie die Themenvielfalt: konsumieren, allein gelassen werden, Krieg, Gewalt, Fanatismus, Beleidigungen durch Arroganz, Whatsapp, Umweltzerstörung, Glaube/wissen, gaffen, Beziehungen. Das waren Themen, die mich in den Entwürfen ansprangen. Optimierungsversuche, experimentelle Einbeziehungen von Form- und Farblehre, Symbolik. Dann und wann Schrift als Ausdrucksmittel im Bild. Intensive Diskussionen, Gewissheit und Zweifel sähen. Tastend suchen, Ideen verwerfen, zögernd finden, die ganze Krisenpalette der Kreativität. Irgendwann: Sich freuen.

Die Gruppe der Jugendlichen der Johannes-Rabeler-Schule hatten Verständigungsskizzen erarbeitet, in denen die ausgesuchten Themen in Ansätzen verankert waren. Stephan Spöhrers Idee, den Farbkreis als Dialoggrundlage zu verwenden, war ein pädago-gischer Glücksfall. In meinen Beratungsgesprächen konnte ich sofort in die Wirkung von Farben einsteigen, noch bevor beabsichtigte Formen ausdifferenziert worden waren. So konnte der Weg zum Thema verhältnismäßig kurz sein, verblüfft hatte mich auch hier die Gedankendichte, die die Jugendlichen stichwortartig ausdrückten: Angst, schreien, Trauer; Abschied, Vergebung; Gebet, Hoffnung, Zweifel; Vertrauen schaffen; Streit, Ärger; Einsamkeit, Licht; Dunkelheit; Schmerz, Kälte, Leere; Leiden, Trauer; Wut, Selbstverletzung; Vergebung, verzeihen; Tod und Dunkelheit. Sehr bewegt hat mich das Stephan Spöhrer und mir geschenkte Vertrauen, die biographischen Momente in den Bildern haben mich teilweise erschüttert. Beglückend empfand ich die Hinweise der Jugendlichen auf die Musik von Krzysztof Penderecki, für mich ein Zeichen, dass es gelungen war, die beiden engen Schwestern Musik und Malerei in den Workshop zu transformieren.

Gemeinsam haben wir die Zusammenstellung der Bilder für die geplante Ausstellung ausgesucht. Bei der Vernissage mit allen Bildern in St. Johannis wurde der Wunsch geäußert, auch weiterhin zusammen zu arbeiten. Ich bin überzeugt, dass schulübergreifende Projekte eine Zukunft haben und für alle Beteiligten eine nachhaltige Wirkung erzeugen vermögen. Gerne wäre ich wieder dabei.

Uwe Appold